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Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische, nicht heilbare Erkrankung des zentralen Nervensystems, die oft zu irreversiblen neurologischen Ausfällen führt. Welche Rolle genetische Ursachen und Umweltfaktoren für den Ausbruch der Krankheit spielen, war bislang unklar. Nun haben Forscher der Universität des Saarlandes um Professor Jörn Walter gemeinsam mit Kollegen der LMU München eineiige Zwillingspaare untersucht, von denen ein Geschwisterteil an MS erkrankt ist und der andere nicht. Heraus kam, dass genetisch identische Zwillingspaare epigenetische Unterschiede im Erbgut aufweisen, die Erkrankung also mit epigenetischen Veränderungen assoziiert ist. Diese Ergebnisse wurden heute im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht.
Erkrankt ein Zwilling an Multipler Sklerose, erkrankt sein eineiiger, also genetisch identischer, Geschwisterteil nur in maximal 25 Prozent der Fälle ebenfalls. Das heißt, die große Mehrheit der genetisch identischen Zwillingsgeschwister bleibt gesund. Welche nicht-genetischen Faktoren machen also den Unterschied aus? Forscher aus Saarbrücken und München sind dieser Frage nachgegangen.
Sie bezogen sich dabei auf frühere Hinweise, dass epigenetische Veränderungen der DNA, das heißt Veränderungen „auf“ der Erbsubstanz selbst, zur Krankheitsentwicklung beitragen können. Eine wichtige epigenetische Modifikation ist die DNA-Methylierung. Es handelt sich um eine biochemische Veränderung an einem Baustein der DNA, dem Cytosin. Durch Methylierung von Cytosinen (also die epigenetische Modifikation) wird das Ablesen von Genen verändert. Dadurch kann es zu einer falschen Steuerung von Genen kommen, zum Beispiel in bestimmten Immunzellen, die zur MS-Erkrankung beitragen. In eineiigen Zwillingspaaren ist dieser Effekt besonders gut messbar, da beide Individuen eine identische Kopie des Genoms besitzen. So reduzieren sich Methylierungs-Unterschiede auf wenige wirklich wichtige Stellen. In der Studie wurde dieser Ansatz nun zum ersten Mal an einer ausreichend großen Gruppe verfolgt und führte daher zu klaren Ergebnissen. Für die Studie wurden deutschlandweit 45 eineiige Zwillingspaare
gewonnen. Von jeder der 90 teilnehmenden Person wurden DNA Methylierungsprofile über das gesamte Genom hinweg erstellt (an ca 850.000 Positionen). Die Ergebnisse wurden statistisch ausgewertet und methodisch unabhängig bestätigt. Diese Bestätigung fehlte meist in früheren Studien.
Zwischen den (genetisch identischen) DNAs der Zwillingspaare fanden die Forschereine Reihe epigenetischer Unterschiede in Immunzellen des Blutes. Eine genaue Analyse zeigte, dass einige dieser Veränderungen mit der Krankheit zusammen auftraten, während andere spontan nur in einem der Zwillingen und ohne Bezug zur Krankheit auftraten. „Diese Analyse zeigt, dass bei MS spezifische epigenetische Unterschiede in Zellen des Blutes auftreten“, erläutert die Projektleiterin Dr. Nicole Souren aus dem Labor von Professor Walter. Einige der bei MS-Patienten gefundenen epigenetischen Veränderungen fanden sich in Genen, deren Bedeutung für MS noch nicht bekannt war. Hieraus ergeben sich neue Forschungsansätze. „Interessanterweise konnte man zudem beobachten, dass einige epigenetische Veränderungen sich durch die Gabe von Medikamenten weiter verändern. Dies zeigt erstmals einen Zusammenhang zwischen epigenetischen Mustern, Krankheit und Therapie“, schlussfolgern die Saarbrücker Wissenschaftler gemeinsam
mit ihren Münchner Kollegen und Kolleginnen, dem Neuroimmunologen Professor Reinhard Hohlfeld und der medizinischen Studienkoordinatorin Dr. Lisa Gerdes. Da einige der Veränderungen auch noch bis zu einem Jahr nach Absetzen der Medikamente im Blut nachweisbar waren, sieht Jörn Walter die Ergebnisse als einen wichtigen Schritt, um die Auslöser der MS, aber auch die Wirkung von Medikamenten in Kurz- und Langzeittherapien besser zu verstehen.
Die epigenetischen Arbeiten zum Forschungsprojekt wurden von der gemeinnützigen Hertie-Stiftung gefördert, die seit ihrer Gründung im Jahr 1974 mit mehr als 50 Millionen Euro verschiedene Multiple-Sklerose-Projekte unterstützt hat. Über das Programm medMS unterstützt die Stiftung Medizinerinnen und Mediziner in ihrer Forschung an der Erkrankung MS wie auch die Grundlagenforschung der Biologin Nicole Souren. Die Ergebnisse des Projektes sind für die Forschung in der Therapieentwicklung sehr wichtig.
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