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Na, so schlimm wird es dieses Jahr hoffentlich nicht werden. Dennoch stellt sich jährlich die Frage für den geneigten MSler, ob er sich einer Grippeschutzimpfung unterziehen sollte. Eine schwere Frage, die nur jeder für sich selbst entscheiden kann. Hier jedoch einige Infos, um die Situation besser beurteilen zu können.
Der gejagte Jäger
In guter Neandertalermanier ziehen Wissenschaftler der ganzen Welt über unseren Planeten und suchen Influenzaviren. Wer die meisten hat, hat gewonnen. Die Wissenschaftler arbeiten dabei in der Influenzaüberwachung. Dafür wurden weltweit jede Menge sogenannte nationale Referenzzentren eingerichtet.
Mit diesen Informationen ist es möglich, die Relevanz des einzelnen (Sub)typs zu bestimmen. Von der jeweiligen Relevanz eines jeweiligen (Sub)Typs hängt es nämlich ab, ob er als relevanter Stamm der kommenden Grippesaison angesehen werden kann.
Völkerwanderung der Stämme
Praktisch jede Grippesaison beginnt in Asien und zieht von dort über den Planeten. Doch gibt es Viren, die zwar extrem aggressiv sind, jedoch keine besonders große Ausbreitung haben. Sie überwachen, begutachten und identifizieren die Influenzaviren das ganze Jahr über. Denn es gibt nicht DAS Influenzavirus. Vielmehr gibt es viele, viele unterschiedliche Typen und von diesen noch viele, viele Untertypen. Das heißt, wenn Sie beispielsweise gegen einen Typ geimpft wären, könnte Ihnen ein Untertyp (richtig heißt es Subtyp) immer noch den Garaus machen. Und hier liegt die besondere Kompetenz der Wissenschaftler: Das Monitoring der Viren beinhaltet nicht nur Identifikation und Typisierung. Vielmehr wird die Verbreitung, die Verbreitungsgeschwindigkeit, die Aggressivität und vor allem die antigene Eigenschaft des einzelnen Virus festgestellt. Dann gibt es Viren, die sich extrem schnell verbreiten, jedoch in der Schwere der Erkrankung mäßig sind. Und dann gibt es die, die rasend schnell über den Planeten ziehen und extrem gefährlich sind. So einfach sich das anhört, so kompliziert ist es. Gibt es doch durchaus Stämme, die erst eine gewisse Anlaufzeit benötigen, bevor sie Fahrt aufnehmen. Andere rennen und rennen und laufen sich recht schnell tot – und schaden sehr bald niemandem mehr. Dazu kommt, dass alle (Sub)Stämme jährlich mutieren. Einige extrem, andere nur minimal.
Wenn Armeen aufeinander prallen
Hier ist die absolute Kompetenz der Wissenschaftler gefragt. Mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung müssen sie die drei oder vier Stämme herausfiltern, die den Menschen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der kommenden Grippesaison am gefährlichsten werden – und das, bevor diese entsprechenden Virenstämme zu ihrem weltweiten Marsch antreten.
Meistens funktioniert das auch sehr gut. Nur manchmal schlagen die Viren dem Menschen ein Schnippchen. So geschehen in der Saison 2013/14. Hier gab es eine winzig kleine Mutation in einem Virenstamm, der fatale Auswirkungen hatte. Üblicherweise werden Kleinkinder und alte Menschen von den Viren am liebsten angefallen. Kinder, weil sie noch nicht das ausgeprägte Immunsystem haben. Alte Menschen, weil diese eher geschwächt sind. Dieses Virus jedoch machte es in diesem Jahr ganz geschickt – und griff vornehmlich Menschen im mittleren Lebensalter an. Personen, bei denen die Grippe normalerweise als Erkältung oder sogar unbemerkt verläuft. Die Wissenschaftler waren dabei mehr als überrascht, da so etwas die absolute Ausnahme ist.
Aktuell wurden vier Influenzastämme identifiziert, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit über uns herfallen wollen. Dieses Jahr haben sie so wohlklingende Namen wie „A/California/07/2009 (H1N1) pdm 09-ähnlich“, A/Switzerland/9715293/2013 (H3N2)-ähnlich“ und „B/Phuket/3073/2013-ähnlich“. A und B bezeichnen die Virustypen. Die Ortsnamen zeigen auf, wo das Virus isoliert, also gefunden wurde. Die erste Ziffer ist die Nummer des Virenstamms. Die zweite Nummer bezieht sich auf das Jahr, in dem der Stamm isoliert wurde. H und M sind die Bezeichnungen der Virushülle. ? Virushülle? Opps.
Hocheffektive effiziente Arbeiter
Bei Viren ist es so, dass sie nur über die Proteinstrukturen ihrer Hülle angegriffen werden können. Denn das gemeine Virus kann Jahre überstehen, ohne das ihm Umwelteinflüsse etwas anhaben können. Ein Beispiel ist das Tetanusvirus. Es liebt es, sich im Dreck zu suhlen. Dort zieht es sich praktisch die Decke – seine Proteinhülle – über den Kopf und macht ein Nickerchen. Dann, nach Tagen oder Jahren, kommt der fröhlich pfeifende Gärtner und buddelt in der Erde, will die Rosen beschneiden oder Unkraut rupfen – und schwupps, hat er sich verletzt. Wenn er jetzt mit dieser Verletzung ausgerechnet mit der Erde in Kontakt kommt, in dem dieses gemeine kleine unsichtbare Virus schläft, gelangt dieses in die Blutbahn. Es reibt sich die Augen, reckt und streckt sich, streift die Decke ab und greift sofort die Zellen an. Dort setzt es seine DNA ein, um sich zu vermehren. Dies alles geschieht rasend schnell. So schnell, dass bestimmte Virenarten, also Stämme, den Körper in kürzester Zeit überfluten und töten können. Bei Tetanus mit guten Aussichten, wenn unser kleines Gärtnerlein nicht geimpft ist bzw. innerhalb von 24 Stunden nach der Verletzung sich nicht nachträglich gegen Tetanus impfen lässt. Denn erst, wenn die Krankheit ausgebrochen ist, weiß er, dass er sie hat – nur dann ist es zu spät.
Erkrankungshäufigkeit
Und dafür sind Impfungen da. Sie sind auf das einzelne Virus abgestimmt, wie ein Schlüssel zum Schloss passt, und greifen die Virenhülle an. Wenn sie die Hülle angegriffen haben, „fließt“ das Virus regelrecht auseinander und die Müllabfuhr des Körpers kehrt sie weg. Auch Influenzaviren können den Körper stark malträtieren und schwer belasten. Während bei Tetanus 0,16 Personen auf 100.000 Personen erkranken, also Round About einer von 500.000 liegt die Influenzaerkrankung bei zwei bis zehn Millionen Krankheitsfällen pro Grippesaison in Deutschland. Infiziert dürften bis zu 16 Millionen Menschen sein, wobei die Abstufung der Verläufe von nicht fühlbar bis schwerst erkrankt mit Krankenhausaufenthalt gleitend und extrem ist.
Der goldene Schlüssel
Die Sterblichkeit bei Influenza ist dagegen recht unterschiedlich – je nachdem welcher Virenstamm vorherrscht. So gab es in der Saison 2008 / 09 rund 19.000 Tote, 2012 / 13 fast 21.000 Tote. In anderen Jahren wie 2000 / 01 oder 2009 / 10 gab es kaum Tote. Das ist jedoch nicht vorhersagbar.
Auf der Virushülle finden sich die besagten Proteine H und N. Sie geben dem Virus seine charakteristische Form des Morgensterns. Diese Proteine sind für jeden Virenstamm charakteristisch, so, dass er über dieses Aussehen identifiziert werden kann. H heißt „Hämagglutinin“ und N „Neuraminidase“. Diese beiden Proteine sind ein Dream-Team. Während das Hämagglutinin dafür sorgt, dass sich das Virus an die Zelle bindet, hilft die Neuraminidase dafür, dass sich das Virus nach deren Infektion von ihr ablösen und eine neue Zelle infizieren kann.
Bei der Impfung werden nun abgetötete Virenbestandteile in den Blutkreislauf gespritzt. Die Immunabwehr macht große Augen und paddelt so schnell sie kann durch den Blutstrom zu den Virenbestandteilen. Die Bestandteile werden genauestens untersucht und begutachtet. Dann schütteln die weißen Blutkörperchen den Kopf und stürzen sich auf die Bestandteile, die da so gar nicht hingehören. Dabei lernen sie, wie die Oberflächenstruktur des Virus aussieht, und schmieden sich einen Schlüssel, der genau in das Schloss dieser Struktur hineinpasst. Wenn diese toten Bestandteile vernichtet sind, kommt der Reinigungstrupp des Körpers und räumt den Schweinkram weg. Nun kennt die Sicherheitspolizei des Körpers, also die Immunabwehr dieses Schloss und hat einen Schlüssel.
Kommt eine geimpfte Person jetzt mit einem echten, lebenden Virus in Kontakt, kann dieses trotz seiner hohen Geschwindigkeit nur einige wenige Zellen infizieren. Die Immunabwehr hat nur darauf gewartet, dass das Virus vorbeikommt, stürzt sich auf es und vernichtet es. Und so kann keine Influenza bei diesem Menschen ausbrechen.
April, April
Schlecht läuft das Ganze, wenn ein ganz anderes Virus sich den Körper anguckt. Die Immunabwehr stürzt sich auf das Virus, versucht die Schlüssel ins Schloss zu stecken – und scheitert. In Ruhe, aber zügig, infiziert das Virus nun eine Zelle nach der anderen. Und so werden aus einem Virus in wenigen Stunden und Tagen Milliarden. Denn jetzt muss das Immunsystem wiederum, wie schon oben beschrieben, einen Schlüssel anfertigen. Da jedoch dieses Virus lebt und, im Gegensatz zu seinem toten Impfkollegen, eine Zelle nach der anderen infiltriert, wird der Mensch krank.
Soll sich ein an Multiple Sklerose Erkrankter impfen lassen?
Diese Frage kann nur jeder für sich beantworten. Und wie immer kommt es darauf an. Fakt ist, dass Lebendimpfstoffe einen Schub auslösen können. Fakt ist, dass bei manchen MSlern auch Totimpfstoffe Schübe ausgelöst haben, schlicht, weil es dem Immunsystem ziemlich egal ist, was da angreift. Fakt ist aber auch, dass schwere Erkrankungen, wie eine echte Grippe, Schübe auslösen können.
Deshalb einfach die Frage: Wie groß ist die Chance, dass Sie mit einem Virus in Kontakt kommen? Wie groß ist die Chance, dass Sie ausgerechnet mit den Viren in Kontakt kommen, gegen die geimpft wird? Sind Sie sehr häuslich, kaufen Sie nur früh morgens oder spät abends ein, nutzen Sie Ihr eigenes Auto statt den ÖPNV und bewegen Sie sich eher selten in Menschenansammlungen, dann ist die Chance zu erkranken eher gering.
Sind Sie aber viel unterwegs, halten Sie sich in Menschenansammlungen auf und nutzen Sie den ÖPNV, Arbeiten Sie noch in einem Unternehmen, vielleicht sogar mit Kundenkontakt, haben Sie einen Partner, der entsprechend arbeitet, haben Sie Kindergartenkinder oder schulpflichtige Kinder, dann ist das Erkrankungsrisiko sehr viel höher.
Auch steht natürlich die Frage im Raum, wie Sie bisher die Influenzaimpfung bzw. Impfungen allgemein vertragen haben. Vertragen Sie Impfungen gut, dann los.
Und es ist für Sie wichtig festzustellen, ob und welche Medikamente Sie einnehmen. Die meisten Medikamente stehen einer Impfung nicht im Weg, doch einige können den Impferfolg negieren.
Wenn Sie sich also unsicher sind, fragen Sie Ihren Arzt. Besprechen Sie mit ihm das Für und Wider.
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P.S. Für die Fachleute: Die Informationen hier sind extrem einfach gehalten, so kommt es, dass nicht alle Informationen richtig sind. Doch zur Verständlichkeit fand ich es nötig, mich eher an Vereinfachungen zu halten, als an medizinisch komplizierte Abläufe.
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