Nach einem Kommentar von gestern möchte ich einige Vorschläge machen, wie Sie mit Ihren Gangunsicherheiten umgehen können.
Es gibt viele Bücher über die Themen „unsicheres Gehen„, Gleichgewichtsstörungen und Gleichgewichtsübungen„, „Sturzprophylaxe“ und ähnliches. Leider haben diese Bücher alle eines gemein. Sie stellen Übungen oder Übungspakete mit vielen kleinen oder größeren Geräten vor. Da soll man mit einem Terraband die Füße abwechselnd heben, da soll man sich auf einen Stuhl stützend in die Waagerechte bringen oder auf allen Vieren (vermutlich bellend) durch die Wohnung kriechen. Ich halte das für falsch.
Nicht nur, dass man sich dafür Zeit freischaufeln muss, sich mit dem einen oder anderen Übungsteil ausstatten muss, sich am besten noch umziehen muss, die Übungen selbstverständlich auf einer tibetischen Yogamatte machen muss .. sind sie für Multiple Sklerose Erkrankte doch meist auch überhaupt nicht hilfreich.
Lernen Sie sich und Ihre Störungen kennen
Tatsächlich favorisiere ich ein anderes Vorgehen. Beobachten Sie sich und schauen Sie wann Sie das Gleichgewicht verlieren, wann Sie „vom Weg abkommen“, wann Sie danebengreifen – und das Gleichgewicht verlieren. Vermutlich sind es immer die gleichen Situationen: Sie gehen geradeaus und der Weg ist uneben, Sie wollen um eine Kurve – und kriegen die Kurve nicht. Sie wollen etwas tun, sind schon dabei sich umzuwenden, ihnen fällt etwas anderes in der anderen Richtung ein, sie wollen sich wieder wenden – und verlieren das Gleichgewicht.
Nach langem Ausprobieren und Herumprobieren bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es mir am besten hilft, wenn ich genau das, wobei ich Probleme habe, kontrolliert langsam durchführe.
Gerade durch die Wohnung
Ich gehe also bewusst beim Üben geradlinig durch die Wohnung, wende (mal nach links, mal nach rechts) und gehe wieder zurück und wieder und wieder. Jeden Tag.
Aufstehen von einem Sessel
Wenn das funktioniert, kann eine komplexere Übung ausprobiert werden. Beispielsweise das Aufstehen von einem Stuhl oder aus einem Sessel. Dabei beuge ich mich weit nach vorn und stemme mich nur mit Hilfe der Oberschenkel nach oben. die Arme sind zum Abfangen und Stabilisieren da, nicht aber, um das aufstehen zu unterstützen.
Um eine Kurve gehen
Wenn ich das habe, kann ich wiederum eine komplexere Übung ausprobieren. Das Umrunden von Zagen. Oft ist es so, dass man durch eine Tür um die Ecke will – und der Körper sich dummerweise zu früh dreht, so dass man Gefahr läuft, gegen die Zarge zu laufen, man will ihr ausweichen, verliert das Gleichgewicht usw. usf.
Üben Sie gezielt das „um die Ecke gehen“. Versuchen sie dabei „sich leicht in die Kurve zu legen“. durchaus so, dass die Schulter der Seite, um deren Ecke es geht, ein wenig weiter unten ist, als die andere. Sie kennen das von kleinen Kindern, die Flugzeug spielen. Sie legen sich automatisch „in die Kurve“.
Sich durch Engstellen drängeln
Sich durch Engstellen drängeln. Da steht ein Tisch, ein Sofa und ein Stuhl. Und da muss man irgendwie durch. Stellen sie bei Ihrem Üben einen Stuhl oder Sessel an dessen Rückenlehne Sie sich gut festhalten können, ans Sofa oder an einen Tisch – und zwar so, dass sie gegen beides fallen könnten. Nun drängeln Sie sich zwischen Sitzgelegenheit und Tisch oder zwischen Stuhl und Sofa vorbei. Möglichst so kontrolliert, dass sie nicht fallen. Zur Sicherheit alten sie sich aber an der Rückenlehne fest bis Sie so sicher sind, dass Sie dort hindurchkommen.
Auf der Straße gehen
Draußen auf der Straße torkele ich meist von einer Seite zur anderen. Nicht nur weil der Untergrund meist extrem uneben ist, sondern auch weil die Straße breiter als mein Zuhause ist und ich keine Fixpunkte habe, so dass ich durch Augenfixierung meinen Gang besser kontrollieren könnte. Momentan probiere ich folgendes aus. meine Nachbarin hat mir einen langen Wanderstock mit Metallspitze geschenkt. sie wollte, dass ich ihn als Gehstock nutze. Bäh! Aber ich bin ja lernfähig, also nahm ich ihn zum nächsten Einkauf zu Fuß mit. Drauf stützen ist nix. Das mag ich nicht. Aber weil er so lang ist und eine metallene Spitze hat, halte ich ihn vor mir her wie einen Blindenstock – nur ohne Bodenberührung und hin und her schwenken – und nutze die Spitze als Fixpunkt. So komme ich ziemlich gerade durch die Straßen. Und wenn es dann mal wirklich uneben und schmal ist oder viel Laub liegt, dann nutze ich ihn tatsächlich als Stützsicherung. Ich habe es bisher erst zweimal gemacht. Es erfordert eine sehr hohe Konzentration und war sehr anstrengend. Aber ich könnte mir vorstellen, dass das mit Übung auf Dauer eine Alternative zum Rollator sein kann.
Wenn Sie noch Ideen haben, immer her damit.
Und wie immer: Wenn Sie diese Übungen durchführen, ist das auf eigene Gefahr. Ich kann für eventuelle Nachteile, die Sie durch das Durchführen der Übungen haben könnten, keine Haftung übernehmen.
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