Kurztext
Das neuartige „Antikörper-Shuttle-Medikament“ gegen Multiple Sklerose (MS) wird am Zentrum für Multiple Sklerose des Universitätsklinikums Dresden entwickelt und getestet. Hier sind die wichtigsten Details dazu:
Funktionsweise
– Das Medikament nutzt spezielle Proteine als „Shuttle“, um Antikörper gezielt über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn zu transportieren
– Dort sollen die Antikörper dann die für MS verantwortlichen, körpereigenen B-Zellen des Immunsystems gezielt ausschalten
– Bisher war es problematisch, Antikörper direkt an die Entzündungsherde im Gehirn zu bringen
Potenzielle Wirkung
– Das Medikament zielt auf die chronischen Entzündungsprozesse im Gehirn ab
– Es könnte daher die langfristigen Krankheitsverläufe bei MS besser behandeln
– Dies wäre ein Hoffnungsschimmer für MS-Patienten ohne akute Schübe, für die es bisher kaum Therapien gibt
Aktueller Stand
– Derzeit läuft eine Phase-I-Studie zur Verträglichkeit des Medikaments mit MS-Patienten in Dresden
– In weiteren Phasen wird dann die optimale Wirkdosis ermittelt
– Erst nach erfolgreichen Phase-II/III-Studien könnte eine Zulassung des Medikaments erfolgen
Die neuartige Antikörper-Shuttle-Technologie könnte einen Durchbruch für die Behandlung chronischer MS-Verläufe bedeuten, wofür es bislang keine zufriedenstellenden Therapien gibt.
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Langtext:
Neues Antikörper-Shuttle-Medikament gegen Multiple Sklerose
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Ein neu entwickeltes Medikament bringt Hoffnung für MS-Patientinnen und -Patienten. // Mithilfe eines neuartigen Molekül-Shuttles können Antikörper direkt ins Gehirn transportiert werden. // Das MS-Zentrum am Uniklinikum Dresden beteiligt sich an einer weltweiten Studie zur Sicherheit.
Neuartiges Antikörper-Shuttle-Medikament gegen MS wird in Dresden getestet
Im Zentrum für MS am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden wird nun erstmals ein Medikament getestet, das die Abwehrzellen des Körpers mithilfe von Antikörpern dort abtötet, wo sie Schaden anrichten: im Gehirn. Problematisch war bislang, die Antikörper über die natürliche Schutzbarriere des Gehirns hinweg direkt dorthin zu transportieren, wo die körpereigenen B-Zellen im Falle einer MS-Erkrankung für Entzündungen verantwortlich sind. Bei dem neuartigen Medikament macht sich die Forschung nun die Eigenschaften von speziellen Proteinen zunutze, wobei man den Antikörper mit einem Transport-„Shuttle“-Eiweiß verknüpft. Am Uniklinikum nimmt bereits die zweite MS-Patientin an einer Phase-I-Studie teil.
Ein Leben mit vielen Herausforderungen
Mehr als 2.000 Patientinnen und Patienten werden am Multiple-Sklerose-Zentrum des Universitätsklinikums Dresden behandelt. Eine von ihnen ist Ivonne Dähn: Dass sie unter Multipler Sklerose leidet, stellt sich vor gut 20 Jahren heraus. Es gibt unterschiedliche Symptome, die in Schüben oder schleichend auftreten können, die Bandbreite ist groß. Seit 2018 ist Ivonne Dähn Patientin am MS-Zentrum im Uniklinikum Dresden. Nach der Diagnose musste sie ihren Job als pharmazeutisch-kaufmännische Assistentin in der Apotheke aufgeben, brachte vor 13 Jahren aber einen gesunden Jungen zur Welt und bewältigt seitdem das Familienleben gemeinsam mit ihrem Mann – so gut es geht. Ein kleines Elektromobil oder ein Gehstock sind ihre stetigen Begleiter. Sport gehört ebenso zu ihrem Alltag, um die Muskeln zu kräftigen.
Neues Medikament verspricht Hoffnung für chronische MS-Verläufe
MS ist derzeit nicht heilbar. Mittels Medikamenten ist es zumindest möglich, die Entzündungsschübe abzuschwächen oder hinauszuzögern – mithilfe moderner Therapien kann die Mehrzahl der Patientinnen und Patienten stabilisiert werden, ohne dass es zu einem Fortschreiten der Erkrankung kommt. Akute Schübe werden mit Kortison behandelt, während eine Immuntherapie heute häufig auf Antikörper setzt, die die aggressiven Immunzellen des Körpers eliminieren oder blockieren. Ivonne Dähn leidet unter einer langjährigen MS, bei der keine Schübe auftreten. Diese Form ist besonders schwierig zu behandeln, weil im Gehirn chronische Prozesse ablaufen. Hier setzt ein neues Medikament an, das den Körper „austrickst“ und genau dort wirken soll, wo die entzündlichen Prozesse stattfinden. Ein Hoffnungsschimmer für viele MS-Patientinnen und -Patienten.
Haben personell und technisch die besten Voraussetzungen Medikamentenstudie zu realisieren
Prof. Tjalf Ziemssen, Direktor des Zentrums für klinische Neurowissenschaften und Leiter des MS-Zentrums, begleitet in Kooperation mit der Firma Roche eine weltweite Studie, bei der dieses neu entwickelte Medikament erstmals überhaupt an Patientinnen und Patienten verabreicht wird. „Als MS-Zentrum haben wir personell und technisch die besten Voraussetzungen und optimalen Möglichkeiten, eine solch wichtige Medikamentenstudie zu realisieren“, sagt Prof. Ziemssen. Ivonne Dähn hat sich freiwillig für die erste Testphase gemeldet und wird dabei engmaschig vom Team um Prof. Ziemssen betreut. Studienschwestern nehmen regelmäßig Blutproben, auch das Gehirnwasser wird im Zuge der Studie mehrmals untersucht und das Wohlbefinden der Patientin dokumentiert.
Ich habe nichts zu verlieren
Die aufwendige Prozedur nimmt Ivonne Dähn in Kauf, denn sie möchte die Erforschung der Krankheit und möglicher Gegenmittel unterstützen. Ob sie selbst von dem neuen Medikament profitiert, ist ungewiss. „Ich habe nichts zu verlieren“, sagt die 45-Jährige, die im Vogtland wohnt und mehrmals wöchentlich ans Uniklinikum nach Dresden kommt. Das neue Medikament verträgt sie gut. Die Untersuchungen seien nicht immer schmerzfrei, räumt Ivonne Dähn ein. „Aber ich weiß, worauf ich mich eingelassen habe. Und ich möchte anderen helfen“, sagt sie. Prof. Ziemssen betont, wie wichtig die Bereitschaft von Patientinnen und Patienten ist, an derartigen Studien teilzunehmen. Auch wenn das Medikament ihnen selbst in dieser frühen Testphase womöglich gar nicht hilft.
Protein-Shuttle überwindet Schutzbarriere des Gehirns
Bei dem neuen Medikament fungieren Protein-Moleküle als eine Art Shuttle, das – bestückt mit dem Antikörper – die Barriere zwischen Gefäß und Gehirn überwindet. Dort, wo die B-Zelle des eigenen Immunsystems an entzündlichen Prozessen im Gehirn beteiligt ist, hofft man, dass der Antikörper die B-Zelle gezielt ausschalten kann. Ob dies tatsächlich genauso funktioniert, wie sich das die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vorstellen, muss mithilfe von an MS erkrankten Menschen getestet werden. Dafür wird nun zunächst in der Phase-I-Studie überprüft, wie verträglich das Medikament ist. Weil dabei eine geringe Dosis verabreicht wird, um die Patientinnen und Patienten nicht zu gefährden, entfaltet das Medikament mit großer Wahrscheinlichkeit noch nicht seine volle Wirkung. Verläuft diese Testphase erfolgreich, wird in den nächsten Phasen die Dosis erhöht, bis die passende Menge des Medikaments ermittelt ist. Danach erfolgt dann die mehrmalige Gabe des Medikaments im Rahmen der aktuellen Studie, für die in Dresden noch weitere Patientinnen und Patienten gesucht werden. Erst dann erfolgen Phase-II- und -III-Studien, die Basis für die Zulassung des Medikamentes sind.
„Die Hochschulmedizin Dresden steht für enge Verzahnung von Patientenversorgung und Forschung“, sagt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand am Universitätsklinikum. „Durch die große Expertise in der Behandlung von MS-Erkrankten ist das Uniklinikum optimal aufgestellt, um derart wichtige Studien zu begleiten. Wir sind dankbar für das große Vertrauen unserer Patientinnen und Patienten, die wie in diesem Fall die Entwicklung neuer Medikamente unterstützen und dafür sogar sehr weite Wege in Kauf nehmen.“
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
https://zkn.uniklinikum-dresden.de/studien/bshuttle
Quellen:
https://www.uniklinikum-dresden.de/de/presse/aktuelle-medien-informationen
https://www.uniklinikum-dresden.de/de/presse/aktuelle-medien-informationen/neues-antikoerper-shuttle-medikament-gegen-multiple-sklerose
https://idw-online.de/de/image385816
https://magazin.minq-media.de/ms-zentrum-des-dresdner-uniklinikums-will-digitalen-zwilling-aus-daten-erschaffen/